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“The only thing to fear is fear itself”: Ritualmusik

Akustische Innenraumfahrten: rituelle Musik und Musik für Rituale

Auf Flyern und Einladungen zu Industrialparties finden sich informative Aufzählungen von Musiksparten, deren Klänge das Publikum erwarten: Von deskriptiven Bezeichnungen (wie „Noise“ oder „Atonal“) über fantasievolle Neuschöpfungen („Angst-Pop“) bis zu weiträumig interpretierbaren Begriffen wie „Ambient“ oder „Ritual“ offenbart der Bereich der Industrial Music ein umfangreiches Klangspektrum abseits von Power Electronics und Lärmorgien. Der vorliegende Artikel macht den Versuch, im Bereich der mit „Ritual“ bezeichneten Musik Differenzkriterien zu isolieren, um einerseits einen „Werkzeugkasten“ musikalischer Begriffe bereitzustellen, die die subgenre-typologische Beschreibung ritueller bzw. ritualistischer Musik ermöglicht, um schließlich die Frage zu stellen, welche Funktionen oder Absichten der Ritualmusik zugeschrieben werden können; eine Problemstellung, welche insofern interessant scheint, als dass Musik des rituellen Typs klangästhetisch stark mit den o.g. Sparten der Lärmmusik kontrastiert, aber trotzdem (oder deswegen) im Werk zahlreicher Industrialpioniere vertreten ist.

Zur Entstehung eines Subgenres

Neben den Industrial-Spielarten „Noise“, „Power Electronics“, „Minimal“ usw. hat sich in der Industrial-Szene ein Zweig etabliert, der auf Veranstaltungsankündigungen wenig konkret als „Ritual“ bezeichnet wird. Was genau ist unter diesem Begriff zu verstehen? Handelt es sich dabei um authentische Dokumentationen von Kulthandlungen? Um eine musikalische Annäherung an sakrale oder mystische Ästhetik? Ist Ritualmusik gar die Aufforderung, eigene Rituale zum bestehenden Soundtrack zu entwickeln? Oder übernimmt sie nur die Chill-Out-Funktion in der Disco, zwischen zwei Power/Noise-Krachern?

Um sich vorläufigen Antworten auf diese Fragen zu nähern, bietet sich die zweckmäßige Unterscheidung zwischen Ritualmusik und ritueller Musik an. Während Ritualmusik als integrales Bestandteil einer sakralen Handlung betrachtet werden kann, ihrer Aufzeichnung also der Status einer Live-Aufnahme oder eines Bootlegs zugeschrieben werden kann (was ihr anthropologische Authentizität verleiht, auch wenn die Produktionsqualität nicht die beste sein muß ), inkorporiert rituelle Musik vielmehr rituelle und/oder sakrale Komponenten, meist mit unheimlicher, beklemmender oder gar verängstigender psychoakustischer Wirkung . Das Produktionsniveau liegt auf Studioqualität und bietet das entsprechende Spektrum an Effekten, welche die Wirksamkeit noch erhöhen.

In der Wirkungsweise der Aufnahmen liegt ein entscheidendes Differenzkriterium: Handelt es sich bei „authentischer“ Ritualmusik um eine von mehreren Komponenten in einer sakralen Inszenierung, die durch die Abtrennung der begleitenden Sinneswahrnehmungen an Wirkung verliert , hat ritualistische Musik die implizite Absicht, die Wirkung eines Rituals allein durch das Hören als Stimmung erfahrbar zu machen. Der auf diese Weise verarbeitete Inhalt und die formale Gestaltung des Ritus selbst spielen dabei untergeordnete Rollen (z.B. ob die Prozedur der Aufnahmen und deren Nachproduktion selbst rituellen Charakter besaßen ).

Dunkle Klanggemälde

Mit welchen psychoakustischen Mitteln werden die Effekte beim Hören erzielt? Abseits des Klangbereichs, der aufgrund sozialer Normen als unangenehm markiert ist (welchem sich die meisten Lärm- und Atonalmusiker verschrieben haben), arbeiten ritualistische Produktionen meist mit unterschiedlichen Anteilen an stehenden Tönen (meist im unteren, sublimeren Frequenzbereich), Schwebungen (kleine, sich verschiebende Disharmonien, die Obertöne erzeugen, was den Gesamtklang breiter wirken lässt), beschwörend-monotonem Sprechgesang, schleppende, oft synkopische Rhythmen (von Pauken, Trommeln oder anderen „schamanischen“ Instrumenten gespielt) sowie ergänzend oder kontrapunktisch eingespielte Samples (z.B. von gregorianischen Chorälen, Obertongesängen oder authentischen Ritualmitschnitten).

Mittels dieser Elemente entstehen Ehrfurcht einflößende, Assoziationen von mystischen Zeremonien beschwörende Klanggemälde, die dunkle Interpretationsräume eröffnen und bei intensivem Zuhören Zugänge zu den eigenen verdrängten Innenräumen ermöglichen.

Sicher kann rituelle Musik auch als „Dark Ambient“-Konsumprodukt nebenher rezipiert werden, etwa bei der Lektüre einschlägiger Literatur. Ein Blick auf die übermusikalischen Interessen der Protagonisten der von Wolfgang Sterneck (1995) als „okkulturellen“ Musik bezeichneten Industrial-„Väter“ zeigt allerdings deren tiefgehendes Interesse an okkulten und mystischen Themen , insbesondere an Aleister Crowley und den mit ihm assoziierten magischen Orden und Praktiken. Im Gegensatz zu immer wieder auftauchenden, sich okkult gerierenden Metal-Acts mit marketing-kompatiblem Evil-Gepose darf man im Bereich der okkulturellen Musik, die sich aufgrund ihrer Verwurzelung im Industrial als weitere Front im „Information War“ betrachten lässt, erwarten, dass die von ihr invozierte „Magick“ sich als psychoakustisch wirksam erweist.

Themen und Inhalte

Auf der Rückseite der LP The Secret Eye of L.A.Y.L.A.H. von Zero Kama, einem Produkt der nicht näher erläuterten „Church Of 2 C R 11“, finden sich neben einer Erklärung, alle auf der Platte verwendeten Instrumente seien aus menschlichen Schädeln und Knochen gefertigt, eine Art Meditationsanweisung und das Crowley-Zitat „Do what thou wilt shall be the Whole of the law“, welches die Maxime der Philosophie von Thelema (griechisch: „Wille“) darstellt. Diese ist den gängigen Exegeten zufolge eine Aufforderung zur Erweckung des höheren Selbst, zur Erkenntnis des eigenen Lebensplanes und dessen Durchführung.

Crowley und die thelemitische Philosophie stehen oder standen Pate für zahlreiche Musikprojekte unterschiedlichster Stile: von Led Zeppelin bis Substanz T hat Crowley’s Denken hörbare Spuren hinterlassen; sein Konterfei findet sich auf der Sgt. Pepper-LP der Beatles, und „moderne Ketzer“ wie Timothy Leary und Robert Anton Wilson betrachten ihn als Pionier der Freiheit in Denken und Handeln . Das spirituelle Revival der 1960er Jahre bescherte dem umstrittenen (und oft zu Unrecht als Satanisten abgestempelten) Dichter und Mystiker ein posthumes Comeback als Vorläufer der Gegenkultur. Crowley’s Arbeiten mit und über Drogen, sein Mystizismus und der offene Umgang mit Sexualität garantierten ihm eine zentrale Position unter den Heiligen der Hippies. Die sagenumwobenen magischen Bruderschaften, deren Mitglied bzw. Gründer er war, inspirierten bis heute zahlreiche Imitate, von denen im Rahmen unseres Themas neben dem Ordo Templi Orientis (OTO), einem gnostischen Orden , vor allem der Temple ov Psychic Youth (TOPY) Erwähnung finden soll: ein durch Psychic TV 1983 ins Leben gerufenes „globales Informations-Netzwerk, das der Verbreitung und Entprivilegisierung von Information, der Entmystifizierung von Magie und der Deprogrammierung und Entmachtung von Kontrolle und Manipulation dient“ , das dank der Vorlieben seiner Mitglieder für psychedelische Bewusstseinsveränderung und Piercings (damals völlig abartig) nicht über einen Mangel an reißerischer Sensationspresse klagen konnte.

Aber zurück zum Thema: Warum bedienen sich Künstler, deren spirituelle und musikalische Wurzeln bis in die Hanf- und LSD-seligen Flower-Power-Jahre zurückreichen, psychoakustischer Mittel, die allgemein als beklemmend oder unheimlich rezipiert werden, um den Hörern den Zugang zu einer „world of darkness“ (Zero Kama) zu ermöglichen? Vielleicht verschafft ein Auszug aus der etwas holprig formulierten „Gebrauchsanweisung“ zu einer Tonbandaufnahme des „Liber Samech“-Rituals etwas Klarheit. Die dem Tape beigelegte Broschüre erklärt den Sinn des Rituals, nämlich die Beschwörung der „Personifikation des ‚Wahren Willens’“, und warnt vorsichtshalber: „Wenn Sie sehr dem christlichen Denksystem verhaftet sind, wird Sie diese Kassette wahrscheinlich abstoßen, obwohl es hier nicht um Teufelsbeschwörung geht, sondern um Erleuchtung.“ Mit dieser Ansicht stehen die Produzenten dieser eigenwilligen Aufnahme nicht alleine da: John Balance und Peter „Sleazy“ Christopherson, deren vielschichtiger (und auch außerhalb der Industrial-Szene geschätzten) Arbeit für Coil ebenfalls okkulte Themen und Symbole, sexuelle Devianzen und Drogenerfahrungen zugrunde liegen, identifizieren ebenfalls die christliche(n) Kirche(n) als Kontrollagenten über Sexualität und die Bedeutung von Symbolen. Befragt danach, warum die meisten Menschen Rituale oder Magie als „Böse“ betrachten, kommt Christopherson zu demselben Schluss: „Es ist die Angst vor dem Unbekannten. Eigentlich kommt das daher, dass die Kirche andere, die Rituale durchführten, als Bedrohung betrachtete.“

Überträgt man das psychologische Konzept der Angst vor dem Unbekannten auf den Bereich der rituellen Musik, erklärt sich deren Klangästhetik: Die Überwindung des unheimlichen, Fremden/Befremdlichen führt zu seiner Annahme und einer vollständigeren Konstruktion vom Ich; nach der Krise erfolgt die Katharsis; der Weg zum Licht führt durch die Dunkelheit. Rituelle Musik übernimmt und verstärkt in ihrer Ästhetik die persönliche Verunsicherung des Hörers, um durch den Akt des Zuhörens selbst den Rang und die Intensität eines Initiations-, also Durchgangs- und Reiferitus, zu beanspruchen. Inwieweit diese Rezeptionsstrategien zutreffen und funktionieren, bleibt den einzelnen Hörern und Hörerinnen vorbehalten, objektiv aber kann ritueller Musik ein Anrecht auf die Rückführung der Musik zu ihren kulturellen Wurzeln nicht abgesprochen werden: Wenn die Geschichte der abendländischen Musik als der „Prozeß Säkularisierung“ beschrieben werden kann, stellt rituelle Musik einen Anknüpfungspunkt an „archaische und ganzheitliche Verhaltensformen“ dar, ohne das Risiko, in regressive New-Age-Schwelgerei zu verfallen.

Die Ablehnung von Unterdrückung und Verdrängung von Information ist ein intrinsisches Kennzeichen der Industrial Culture, d.h. dass auch die dunkleren, abgelegeneren Innenräume menschlicher Erfahrung dem Forschen & Fühlen zugänglich gemacht werden müssen, auch wenn es Überwindung kostet. Aber setzt nicht die totale (Selbst-)Erkenntnis die rückhaltlose Selbstüberwindung voraus? Ist es nicht das, was die Psychonauten meinen, wenn sie vom Egoverlust sprechen?

Die psychologischen Implikationen von Durchgangsriten und ihre gesellschaftlichen Funktionen zu diskutieren, würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen. Abschließend bleibt festzuhalten, dass das Interesse der Industrial-Künstler an Religion, Magie, Archetypen und Symbolen einen direkten Angriff auf die Definitionsmacht vorindustrieller Institutionen darstellt. Durch den Versuch, Musik wieder zu ihren sakralen und rituellen gemeinschaftlichen Funktionen zurück zu führen, artikuliert sich der subversive Angriff auf als überkommen empfundene Paradigmen, die der Entmündigung der Massen verpflichtet sind, indem sie Kontrollansprüche auf „intime“ Lebensbereiche des Menschen wie Sexualität, Religion und Rauscherleben erheben. Ganz abseits jedweder individuellen psychologischen Wirkung ist dies ihre eigentliche soziologische Funktion; ihre Magie ist die Verheißung der Selbst-Befreiung aus normierten Denk- und Verhaltensmustern, auf die trotzdem jede/r einzelne von sich aus zugehen muß.

Ritualbands zum Reinhören:
- Current 93
- Ain Soph
- Sigillum S
- Autopsia
- Zero Kama
- Hybryds
- Rosengracht (gibt’s die noch?)

(ursprünglich veröffentlicht in "deffects" Nr. 3, Berlin 2005; auch hier gibt's Fußnoten & Quellenangaben auf Anfrage, d.A.)

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